Philosophie und Religion

Symbolbild: Averroes © Canva, bearbeitet by Avempace.

Der Verlust der prophetischen Instanz nach dem Tod des Propheten Muhammad (S) führte zu einer Umgestaltung des Islams, da er seine Selbstverständlichkeit verlor. Diese Entwicklung eröffnete den Weg zu einer kontinuierlichen Suche nach Wissen, Weisheit und Wahrheit in der islamischen Welt. In dieser Suche griff man auf das Wissen fremder Kulturen zurück, insbesondere in Disziplinen wie dem islamischen Recht (fiqh) und der systematischen Theologie (kalam). Die Philosophie spielte dabei eine bedeutende Rolle.

Trotzdem wurde die Philosophie kritisch betrachtet und als widersprüchlich zur „vollkommenen“ und „abgeschlossenen“ Religion angesehen. Ibn Rushd versuchte in seinem Werk „Fasl al-maqal“ nachzuweisen, dass Philosophie und Religion keine Gegensätze sind, sondern im Gegenteil, dass die Philosophie die Religion unterstützt. Er argumentierte, dass das Religionsgesetz das Studium der Philosophie und Logik erlaubt und dass sie nicht im Widerspruch zur Religion steht.

Ibn Rushd sah die Philosophie als einen Weg zur Gotteserkenntnis und betonte, dass der Islam eine Verstandesreligion und eine philosophische Religion sei. Er ermutigte intellektuell geeignete Menschen, Wissenschaft und Philosophie zu studieren, da diese die besten Mittel zur Untersuchung der Welt seien. Er betrachtete die philosophische Tätigkeit als einen edlen Gottesdienst und Gebot Gottes.

Für die Suche nach Wahrheit und Weisheit griff Ibn Rushd auf die Erkenntnisse seiner Vorgänger zurück. Er betonte, dass die Wissenschaft ein sozialer Prozess sei und dass ohne die Vorarbeit anderer Menschen allein keine Wissenschaft betrieben werden könne. Die Kultur und Religion spielten dabei keine Rolle, da die Erkenntnis der Wahrheit für alle Menschen nützlich sein könne.

Ibn Rushd bezeichnete die Philosophie als Gefährtin und Milchschwester der Religion, da beide die Suche nach der Wahrheit und die Erkenntnis Gottes und der Dinge teilten. Er unterschied die Ausdrucksformen der Religion und Philosophie, wobei die Religion symbolisch und die Philosophie wissenschaftlich sei. Dennoch dürfe die Religion nicht den apodiktischen Schlüssen der Philosophie widersprechen, da die Wahrheit nicht im Widerspruch stehe, sondern miteinander übereinstimme.

Ibn Rushd erklärte, dass allegorische Interpretationen in der Religion erlaubt seien, solange sie nicht zu Widersprüchen oder zur Leugnung grundlegender Glaubensprinzipien führten. Die Religion könne als Artikulationsform der Philosophie angesehen werden, die die gleiche Wahrheit symbolisch darstelle. Er betonte, dass die Philosophie der Religion nicht überlegen sei, da die Religion die Wahrheit für alle Menschen zugänglich mache, während die Philosophie nur einen kleinen Teil anspreche.

Insgesamt ermöglichte Ibn Rushds Ansatz eine harmonische Koexistenz von Religion und Philosophie, ohne dass sie sich gegenseitig ausschließen. Seine Sichtweise erlaubte eine Pluralität von Meinungen und Zugängen zur Wahrheit und förderte die Toleranz gegenüber unterschiedlichen Überzeugungen innerhalb der Religion.